90 Jahre Buchdruck in den Räumen Hübnerstraße 5, München
Wann hat sie begonnen, die Moderne? Die beweglichen Lettern, die Johann Gensfleisch, genannt Gutenberg, 1450 erfand, waren jedenfalls einer der Anfänge der heutigen Medienrevolution. Gutenbergs Druckstock war noch keine Maschine, aber das Aneinanderreihen der Lettern in eine Formation war der Beginn des Informationszeitalters. Freilich hat es dann noch bis 1772 gedauert, bis die Druckpresse vollständig aus Eisen gefertigt war. Erst 1812 kam es dann, mit der von Friedrich Koenig entwickelten Schnellpresse, zu der ikonischen Zylinder-Druckmaschine. Denkt man an Druckmaschine, dann kommt die Assoziation von Zeitung und Flugblatt auf, man denkt an Aufruf, Revolution und Politik. Druckmaschinen haben Könige gestürzt, Republiken gegründet, und Diktatoren zur Macht verholfen. Überall in München wurde Geschichte gemacht, in der Hübnerstraße 5 aber wurde sie gedruckt. Die Druckerei wurde in den letzten Tagen der Weimarer Republik, im Jahre 1927, von A. Louis gegründet. Als Symphatisant der NSDAP trat er schon früh in die Partei ein. Schon bald bekam er, von der schnell wachsenden Partei, Druckaufträge. Schon in den 1930er-Jahren war die Druckerei mit dem Ausstanzen der NSDAP-Parteimarken voll ausgelastet. Wie Nachbarn berichteten, war auch Adolf Hitler mit seinem Schäferhund öfter zugegen.
Nach dem Kriege wurde die Druckerei von den US-Behörden beschlagnahmt. Zwei Jahre später, im Jahre 1947, übernahm dann der Junior die Druckerei. Danach gab es wechselnde Besitzer, bis sie dann schließlich von Eva Mierse übernommen worden ist. Am 28. Februar 1978 verkaufte Eva Mierse, die sich stolz Druckereibesitzerin nannte, die Druckerei an Christoph Dürr.
Das Druckwesen war für Christoph Dürr kein Neuland. Schon 1959, vier Jahre nach seinem Abitur, meldete er eine Druckerei an. Erste Betriebsstätte war Hohenzollernstraße 20 in München-Schwabing. Nach Umzug der Druckerei in die Blütenstraße übernahm Horst Reichel die Räume in der Hohenzollernstraße und eröffnete das Theater 44.
In den folgenden Jahrzehnten vergrößerte Christoph Dürr beharrlich die Druckerei in der Hübnerstraße und fügte mehr und mehr Druckmaschinen und Vorrichtungen hinzu. Was die Druckerei in der Hübnerstraße 5 von anderen Druckereien von Anfang an unterschied, war Christoph Dürrs andere Leidenschaft: Die Kunst. In der Hübnerstraße 5 kam es zu einer Symbiose zwischen schwarzer Druckmaschinentechnik und moderner Kunst. Dort wurden nicht nur bevorzugt Kunstbücher und Kunstkataloge gedruckt, Kunst wurde hier gemacht und ausgestellt. In den 1990er-Jahren wurde in der Hübnerstraße 5 viel über Kunst diskutiert, es wurde argumentiert und produziert.
Und so lebt diese einzigarte Ort bis heute fort. Zeitgenössische Kunst hängt hier und da zwischen den schwarzen Kolossen, die auch heute noch Revolution und Aufbruch verkünden. Avantgardistische Bücher erscheinen hier im Buchdruck. So soll es auch weitergehen. Noch in diesem Jahr wird der Freundeskreis der schwarzen Kunst gegründet werden. Neue Kunst und neue Medien sollen hier ein Ort vorfinden, wo – zwischen den Revolutionen – weiter darüber diskutiert werden darf, was die Kunst mit der Form verbindet. Druckmaschinen können uns noch viel über die Strenge des Begriffs lehren. Vielleicht liegt in der Begrenzung der Form die Freiheit der Kunst. Und es sind die schwarzen zyklopischen Landschaften in der Hübnerstraße 5, die es vielleicht möglich machen werden, dass wir eine neue Formsprache finden können. Diese Sprache kann man jetzt schon hören. Es ist das Lied der Maschinen. Es lohnt sich zu verweilen und zuzuhören.
Hans-Peter Söder